Über Motivation, persönliche Orientierung und gesellschaftliche Verantwortung im Berufsleben
In einer Zeit, in der ökonomische Zielgrößen, Effizienz und Leistungsdruck vielfach den Ton angeben, wächst zugleich das Bedürfnis nach einer Arbeit, die mehr ist als ein Mittel zum Zweck. Es geht um die Frage, wofür wir uns engagieren und welchen Beitrag unsere Tätigkeit für uns selbst, für andere und für die Gesellschaft leistet. Diese Frage basiert nicht nur auf individuellen Erwartungen, sondern hat auch unmittelbare Auswirkungen auf Motivation, Gesundheit, Zusammenarbeit und die Art, wie Organisationen funktionieren.
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Warum Sinn bei der Arbeit eine zentrale Rolle spielt
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl beschrieb Sinn als eine grundlegende menschliche Kraftquelle. Seine Logotherapie geht davon aus, dass Menschen psychisch stabiler, widerstandsfähiger und handlungsfähiger sind, wenn sie ihrem Tun eine Bedeutung zuschreiben können. Diese Erkenntnis lässt sich unmittelbar auf die Arbeitswelt übertragen.
Auch der deutsche Arbeits- und Organisationspsychologe Klaus Moser zeigt in seinen Forschungen, dass erlebter Sinn eng mit Motivation, Engagement und Gesundheit verbunden ist. Arbeit wird dann als erfüllend erlebt, wenn Menschen den Eindruck haben, mit ihrem Beitrag etwas Relevantes zu bewirken.
Für Unternehmen bedeutet das: Sinn wirkt nicht nur individuell, sondern strukturbildend. Er beeinflusst Loyalität, Leistungsbereitschaft und die Qualität von Zusammenarbeit.
Wenn Sinn fehlt – leise Signale und spürbare Folgen
Ein Mangel an Sinn zeigt sich selten abrupt, sondern kündigt sich meist schleichend an. Menschen funktionieren, erledigen ihre Aufgaben – und ziehen sich oft unbemerkt innerlich zurück. Typische Anzeichen sind:
- zunehmende Erschöpfung trotz überschaubarer Arbeitslast
- sinkende Identifikation mit der eigenen Rolle
- innere Distanz, Zynismus oder Gleichgültigkeit
- das Gefühl, austauschbar oder wirkungslos zu sein
Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa beschreibt diesen Zustand als Entfremdung: Arbeit wird erledigt, ohne in Beziehung zu stehen, weder zur eigenen Person noch zu einem größeren Zusammenhang.
Langfristig kann dies zu innerer Kündigung, psychosomatischen Beschwerden oder Burnout führen. Für Organisationen äußert sich fehlender Sinn häufig in hoher Fluktuation, geringer Innovationskraft und wachsender Demotivation.
Eigene Handlungsmöglichkeiten – reflektiert und konkret
Es gibt keine „Patentlösung“, doch es gibt Möglichkeiten den Sinn im alltäglichen Tun wieder zu erleben:
- Eigene Werte und Motive klären
Die Erforschung der eigenen Motivation ist Anfang jeder Orientierung. Welche Aspekte der Arbeit machen Sie neugierig oder was finden Sie spannend? Wann empfinden Sie Ihre Tätigkeit als lohnend? Werkzeuge wie Werteprofile, Analysen mittels regelmäßiger, schriftlicher Aufzeichnungen oder systemische Fragetechniken helfen, den inneren Kompass zu erkunden. - Aufgaben neu ausrichten
Oft verbirgt sich wertvolles hinter Routinen. Fragen Sie sich: Welche Aufgaben stärken meine Verbindung zu dem, was mir wichtig ist? Welche Tätigkeiten kann ich ausbauen, delegieren oder anders gestalten? - Beziehungen gestalten
Soziale Verbundenheit ist ein starker Ressourcengeber. In Gesprächen über Ziele, Erwartungen und Erfahrungen entsteht ein geteiltes Verständnis dessen, was wirkt und bewegt. Führungskräfte können hier die Möglichkeit für Austausch schaffen. - Perspektiven erweitern
Bedeutung entsteht immer im Kontext. Sinn entsteht oft nicht durch den Jobtitel, sondern durch den Beitrag. Wem nützt meine Arbeit? Was würde fehlen, wenn es sie nicht gäbe? Dieser Blickwinkel kann überraschend sein. - Initiativen verbinden
Beteiligen Sie sich an Projekten, die über Routineaufgaben hinausgehen – sei es durch Mentoring, interne Innovationsteams, gesellschaftliches Engagement oder bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Solche Verbindungen schaffen Relevanz auf mehreren Ebenen zugleich.
„Wir leben in einer Welt, die uns immer mehr abverlangt, aber immer weniger zurückgibt.“
Hartmut Rosa
Führung und Sinn – eine gemeinsame Verantwortung
Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um Sinn bei der Arbeit geht. Nicht, indem sie ihn vorgeben, sondern indem sie Orientierung ermöglichen. Dazu gehört, den Zweck der Organisation nachvollziehbar zu machen, Entscheidungen transparent zu erklären und Mitarbeitende als Mitgestaltende ernst zu nehmen.
Der deutsche Organisationsforscher Edgar Schein beschreibt Kultur als das, „was eine Gruppe gelernt hat, um mit ihren Problemen umzugehen“. An dieser Stelle entsteht Sinn: in der Art, wie über Ziele gesprochen wird, wie Konflikte behandelt werden und wie Beiträge anerkannt werden.
Sinn verbindet das Persönliche mit dem Gesellschaftlichen
Sinn bei der Arbeit entsteht an der Schnittstelle zwischen individueller Haltung und gesellschaftlichem Beitrag. Er verbindet das persönliche Bedürfnis nach Wirksamkeit mit dem Wunsch, Teil von etwas Größerem zu sein. Wer sich diese Frage stellt, egal ob als Mitarbeitende:r oder als Führungskraft, betritt oft neues Terrain und wird möglicherweise von manchen Menschen belächelt.
Arbeit darf fordern. Sie darf anstrengend sein. Doch sie sollte nicht leer bleiben. Dort, wo Sinn spürbar wird, entsteht Energie, Verantwortung und echte Verbundenheit. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um neue Erkenntnisse über Ihre Erwartungen an Arbeit, Gesellschaft und sich selbst zu gewinnen.

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